Ist die Idee von bidirektionalem Laden bloß ein Wunschtraum? – Bis vor Kurzem waren es fast ausschließlich Forschungsprojekte, die das Be- und Entladen von Elektrofahrzeugen zugunsten des Stromnetzes im Fokus hatten – graue Theorie also und kaum Praxis. Dem wurde nun ein Ende gesetzt – das Schweizer Demonstrationsprojekt V2X Suisse ging vor Kurzem in die Umsetzung mit dem Ziel, Praxiswissen in Sachen technische, regulatorische und organisatorische Herausforderungen von bidirektionalem Laden zu sammeln.
Von Thomas Buchbauer
Dr. Anna Roschewitz und ihr Team von novatlantis machten Nägel mit Köpfen und kooperierten dabei gleich mit einer Reihe von Firmen, die Interesse an einer Lösung haben. Denn je mehr Elektroautos künftig auf den Straßen unterwegs sein werden, desto eher haben wir die Chance, sie während des Ladevorgangs als Energiespeicher für die Abdeckung von Netzgrundlasten zu nutzen. Die Perspektive sieht dabei vielversprechend aus, sagt auch Dr. Anna Roschewitz: „Wird ein bidirektionales Mobility-Elektroauto nicht gefahren, kann es bis zu 20 Kilowatt Leistung zurück ins Stromnetz speisen. Das würde auf die gesamte Carsharing-Flotte des Schweizer Sharing-Dienst »Mobility« gerechnet 60 Megawatt ausmachen – eine größere Leistung, als sie beispielsweise das Tessiner Pumpspeicherkraftwerk Peccia bereitstellen kann. Diese elektrische Regelleistung wird helfen, das Stromnetz zu stabilisieren, Engpässe im Verteilnetz zu minimieren und teure Netzausbauten im Verteilnetz zu verhindern, zu verringern oder zu verzögern.“
Erfahrungen sammeln
Zuvor müssen allerdings Erfahrungswerte gesammelt werden – gesagt, getan: Mit Ende 2022 schicken die insgesamt 20 Projektpartner 50 Elektroautos vom Sharing-Dienst »Mobility« an 40 Standorten auf die Reise, um die Praxistauglichkeit von »Vehicle to everything« sowohl in urbanen als auch in ländlichen Bereichen auf die Probe zu stellen. Für die Verantwortlichen war es auch klar, dass man dabei ausschließlich auf Serienprodukte setzen wollte. Neben dem Ladestationen-Hersteller EVTec und dem Software-Entwickler sun2wheel musste sich auch der Autohersteller den Herausforderungen des bidirektionalen Ladens stellen können. Nur wenige Produzenten von EVs können oder wollen dem derzeit vollumfänglich gerecht werden. Sehr oft sind es Garantie- und Gewährleistungsfragen des Akkus, die dem bidirektionalen Laden aus der Sicht der Fahrzeughersteller im Wege stehen. Mit dem Honda e hat V2X Suisse sowohl ein Fahrzeug als auch einen Hersteller als Partner gefunden, der den Anforderungen gerecht wird und dessen EV mit einem handelsüblichen Combo-CCS-Stecker geladen werden kann. Die Regulierung der Leistung gewährleistet übrigens der Flexibilitäts-Aggregator tiko.
Fragen analysieren
Dr. Anna Roschewitz, Co-Gründerin und -Geschäftsführerin der novatlantis GmbH, zeichnete im Rahmen des BVe-Marktplatzes Mobilität und Innovation, an dem auch die Redaktion von eCarandBike und dem i-Magazin regelmäßig teilnimmt, ein klares Bild, welchen Fragen man auf den Grund gehen will:
- Netzfreundlich – netzdienlich? Das Projekt untersucht, ob und wie diese Technologie zur Stabilisierung des Stromnetzes beiträgt und wie ZEVs ihren Eigenverbrauch optimieren können.
- Geschäftsmodell? Das Projekt untersucht das Geschäftspotenzial des bidirektionalen Ladens von Elektrofahrzeugen in der Schweiz.
- Flexibilitätsnachfrage? Das Projekt untersucht die Nachfrage nach Flexibilität und testet den Wettbewerb zwischen den potenziellen Flexibilitätskäufern (Swissgrid, VNB und ZEVs).
Spätestens in einem Jahr wird man mehr wissen – die gewonnen Erkenntnisse will man im DACH-Raum teilen – letztendlich auch deswegen, um die Umsetzung der gemeinsamen Ziele in der Elektromobilität zu beschleunigen.
Des Grads an Dringlichkeit ist man sich auch in Österreich bewusst: „Wir müssen mit bidirektionalem Laden sehr schnell in die Umsetzung gehen. Denn derartige Technologien können der Schlüssel dafür sein, um mit der Einbindung tausender Fahrzeugakkus in den Grid, die eratrische Energieaufbringung über Wind und Sonne netzstabil abzusichern“, sagt Helmut-Klaus Schimany anlässlich des BVe Marktplatzes Mobilität und Innovation, der gemeinsam mit den Schwesterverbänden in Deutschland (BEM) und der Schweiz (swiss emobility) nun noch enger kooperieren möchte. Ziel der Zusammenarbeit von BVe, BEM und swiss emobility soll es sein, die Aufgaben zur Umsetzung kluger Mobilitätskonzepte und Energiesysteme gemeinsam zu stemmen.
Weitere Informationen: www.mobility.ch