Deep Learning braucht den realen, weltweiten Straßenverkehr

Der Weg zum autonomen Fahren

von David Lodahl

Deep Learning im länderspezifischen, realen Straßenverkehr spielt eine zentrale Rolle auf dem Weg zum autonomen Fahren. Das zeigt der Mercedes-Benz Intelligent World Drive, der nach fünf Monaten auf der Consumer Electronics Show (CES) in Las Vegas endete. Ein Erprobungsfahrzeug auf Basis der aktuellen S-Klasse absolvierte eine anspruchsvolle Studienreise auf fünf Kontinenten, um bei automatisierten Testfahrten im realen Verkehr zu „lernen“.

Ob Zebrastreifen auf chinesischen Autobahnen, Rechtsabbiegen von der linken Fahrspur im australischen Melbourne, Fußgängerverkehr auf jeder Art von Straßen in Südafrika oder kurzzeitiges Fahrverbot in unmittelbarer Nähe von anhaltenden Schulbussen in den USA – auf jedem Kontinent stand die S-Klasse vor Herausforderungen, die Einfluss auf das Fahrverhalten künftiger autonomer Fahrzeuge haben werden. Diese länderspezifischen Besonderheiten müssen automatisierte und autonome Fahrzeuge kennen und in ihrem jeweiligen Kontext verstehen, um dann richtige Fahrentscheidungen treffen zu können.

Zudem unterstreicht der Intelligent World Drive, wie wichtig eine internationale Harmonisierung des Rechtsrahmens für das automatisierte und autonome Fahren sowie der Infrastruktur ist, insbesondere von Fahrspurmarkierungen und Verkehrsschildern. „Der Intelligent World Drive macht deutlich, dass autonomes Fahren weltweite Entwicklungsaktivitäten und Testfahrten erfordert“, so Ola Källenius, Vorstandsmitglied der Daimler AG, verantwortlich für Konzernforschung und Mercedes-Benz Cars Entwicklung. „Automatisierte und autonome Fahrzeuge brauchen internationales Lernmaterial aus dem realen Straßenverkehr, um Verkehrssituationen richtig zu verstehen und auf unterschiedliche Szenarien vorbereitet zu sein.

Bild: Daimler AG
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Intelligent World Drive gibt Einblick in die Komplexität globaler Herausforderungen

Mit dem Erprobungsfahrzeug auf Basis einer teilautomatisierten S-Klasse wurden Testfahrten in Deutschland, China, Australien, Südafrika und den USA durchgeführt. Die Unterschiede in den Ländern geben einen kleinen Einblick in die Komplexität globaler Herausforderungen bei der Entwicklung von automatisierten und autonomen Fahrfunktionen. Insbesondere die landesspezifischen Besonderheiten bei Infrastruktur, Verkehrsregeln sowie dem Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer stellen sehr unterschiedliche Anforderungen an die Sensorik und die Algorithmen des Fahrzeugs. Zudem wird deutlich, wie wichtig hochauflösende Karten für die Entwicklung höherer Automatisierungsstufen werden könnten. Daher beteiligt sich die Daimler AG an dem Kartendienst HERE und arbeitet an der schnelleren Umsetzung und Aktualisierung noch präziserer Navigationsdaten.

Weltweit unterschiedliche Verkehrsschilder und Fahrbahnmarkierungen

Allein bei Verkehrsschildern zur Geschwindigkeitsbegrenzung gibt es viele unterschiedliche Varianten. So haben sie beispielsweise in den USA eine grundlegend verschiedene Form und Größe als die in Europa und China üblichen runden Metallschilder. In Australien werden zunehmend elektronische Displays mit variablen Geschwindigkeitsbegrenzungen eingesetzt. Dabei weisen spezielle Anzeigen auf das aktuell geltende Tempolimit hin. Sie sind mit leuchtend weißen LEDs, einem roten LED-Ring und einer gelben LED-Warnleuchte ausgestattet und können neben Geschwindigkeitsbegrenzungen auch einfache Symbole und Buchstaben abbilden. In einigen Fällen werden sie nacheinander positioniert und können ihre Anzeige innerhalb kurzer Zeit ändern. Dies erhöht die Anforderungen unter anderem an die Multi Purpose Camera (MPC) und die Qualität der digitalen Karten. Ebenso anspruchsvoll sind Tempolimits, die nur zu bestimmten Uhrzeiten oder sogar Daten gelten.

Ein prägnantes Beispiel für länderspezifische Verkehrszeichen und -regeln ist das „Hook Turn“-Schild im Stadtzentrum von Melbourne. Es regelt den Abbiegevorgang auf Straßen, die auch von Straßenbahnen befahren werden. Wer im dortigen Linksverkehr rechts über die Bahngleise hinweg abbiegen will, muss auf die äußerste linke Spur wechseln und zunächst den Geradeausverkehr und die Straßenbahn passieren lassen, bevor er rechts abbiegen darf. Die Kreuzung kann erst überquert werden, wenn die eigene Ampel auf Rot und die des Querverkehrs auf Grün umschaltet. Die Sensoren und Algorithmen eines automatisierten und autonomen Fahrzeugs müssen in der Lage sein, das „Hook Turn“-Schild zu erkennen, den Kontext des komplexen Abbiegevorgangs zu verstehen und andere Verkehrsteilnehmer zu berücksichtigen.

Auch Fahrbahn- und Spurmarkierungen sind weltweit nicht standardisiert. Der Zebrastreifen hat zum Beispiel in China eine doppelte Bedeutung. In der Stadt markiert er einen Fußgängerüberweg, auf der Autobahn zeigt er dagegen den Mindestabstand zwischen hintereinander fahrenden Fahrzeugen an. Auf mehrspurigen Interstates und Freeways in den USA existieren häufig eigene Fahrspuren für Fahrgemeinschaften ab mindestens zwei Personen. Sie können sowohl durch zwei gelbe, durchgezogene Linien als auch durch Metallplanken von den anderen Spuren getrennt sein. Für die Fahrzeugsensorik ist es unter Umständen schwer, sie als spezielle Fahrspuren zu erkennen und richtig zu interpretieren. Darüber hinaus gibt es in den USA die sogenannten Botts‘ Dots. Diese Punkte zur Spurmarkierung aus Kunststoff oder Keramik stellen ebenfalls besondere Anforderungen an die Spurerkennung. Daher plant Kalifornien als erster Bundesstaat, die Botts‘ Dots abzuschaffen und die Spurmarkierungen für das zukünftige autonome Fahren zu vereinheitlichen.

Erschwerend kommt hinzu, dass in manchen Ländern Beschilderungen und Fahrbahnmarkierungen teilweise fehlen. So ist es selbst für routinierte Fahrer an einigen Mega-Kreuzungen und in mehrspurigen Kreisverkehren in der chinesischen Metropole Shanghai schwierig, ohne Fahrbahnmarkierungen die richtige Spur zum Abbiegen auszuwählen. In Südafrika stellen fehlende Stopp- oder Warnschilder vor Bodenschwellen zur Geschwindigkeitsbegrenzung Herausforderungen an die Leistungsfähigkeit der Sensorik sowie die Qualität digitaler Kartendaten dar.

Landesspezifische Verkehrssituationen erkennen und im Kontext verstehen

Eine weitere Besonderheit im US-amerikanischen Straßenverkehr sind Schulbusse bzw. die mit ihnen verbundenen Verkehrsregeln. Sobald sie anhalten, muss der Verkehr in unmittelbarer Umgebung ebenfalls stehen bleiben. Kein Fahrzeug darf vorbeifahren, auch nicht in der Gegenrichtung. Automatisierte und autonome Fahrzeuge müssen lernen, die Schulbusse in relevanten Verkehrssituationen von allen anderen Fahrzeugen zu unterscheiden und zu erkennen, ob sie anhalten, um Kinder ein- und aussteigen zu lassen.

Ebenso herausfordernd für die Fahrzeugintelligenz ist das Fußgängerverhalten in Südafrika, das mit dem in Europa, Australien oder USA nicht vergleichbar ist. Hier sind nicht nur viel mehr Fußgänger unterwegs, sie laufen auch häufig direkt auf der Straße und überqueren mitunter unerwartet die Fahrbahn. Künftige Systeme müssen solche Fußgänger auch bei höheren Fahrgeschwindigkeiten zuverlässig erkennen und ihre Bewegung richtig interpretieren. Überholvorgänge auf einspurigen Straßen sind in Südafrika üblich, indem das langsamere Fahrzeug den Seitenstreifen mitbefährt und das überholende Fahrzeug trotz durchgezogener Linie an übersichtlichen Stellen vorbei fährt. Künftige Fahrzeuge müssen lernen, diese Toleranz situationsbedingt zu nutzen. Dafür müssten sie unterscheiden können, ob die Straße frei und übersichtlich genug ist, um zu überholen – oder ob ein Überholvorgang aufgrund von Kurven oder Gegenverkehr zu gefährlich ist. Selbstverständlich würden hier entsprechende infrastrukturelle Maßnahmen helfen, autonomes Fahren schneller und flächendeckender zu ermöglichen.

Eine besondere Herausforderung bezüglich der Gefahr von Wildwechsel stellen zum Beispiel Kängurus in Australien oder Springböcke in Südafrika dar. Je nach Körperhaltung haben sie eine andere Form und sind daher schwer eindeutig zu identifizieren. Der Statistik einer australischen Versicherungsgesellschaft zufolge verursachen Kängurus landesweit neun von zehn Verkehrsunfällen, in die Tiere verwickelt sind.

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Weltweite Entwicklungsaktivitäten sind der Schlüssel für lernende Systeme

Die länderspezifischen Besonderheiten, denen sich das S‑Klasse Erprobungsfahrzeug auf fünf Kontinenten gestellt hat, unterstreichen die Notwendigkeit weltweiter Entwicklungsaktivitäten und Testfahrten. Nur so lassen sich lernende Systeme und Algorithmen entwickeln, die in der Lage sind, mit einer Vielzahl von Situationen verlässlich und sicher umzugehen. Dabei geht es neben der Programmierung von konkreten Routinen für klar definierte Anwendungsfälle vor allem auch darum, in unerwarteten Situationen Lösungsstrategien zu erarbeiten. Alle beim Intelligent World Drive gesammelten Informationen und Erfahrungen fließen in die Weiterentwicklung von höher automatisierten Systemen auf dem Weg zum autonomen Fahren ein.

Dank des globalen Research & Development Netzwerks der Daimler AG ist es Mercedes-Benz möglich, länderspezifische Verkehrsbedingungen in die Entwicklung von automatisierten Fahrfunktionen einfließen zu lassen und damit schneller ins Fahrzeug zu bringen. So verfügen die Mercedes-Benz Research & Development Center in Nordamerika und China über eigene Erprobungsfahrzeuge, die lokale Informationen über Infrastruktur und Verkehrsgewohnheiten sammeln sowie Testfahrten zur Feldabsicherung von Fahrerassistenzsystemen durchführen. In anderen Kernmärkten kooperiert Mercedes-Benz verstärkt mit den dortigen Marktgesellschaften. Mercedes-Benz Australia testet zum Beispiel seit Frühjahr 2017 in enger Zusammenarbeit mit dem Forschungs- und Entwicklungszentrum in Deutschland automatisierte Fahrfunktionen in Australien und Neuseeland. Der Intelligent World Drive ergänzt diese umfangreichen Absicherungsprojekte. Mit einer Vielzahl von Erprobungsfahrzeugen sammelt Mercedes-Benz international Informationen zur kontinuierlichen Weiterentwicklung und Verbesserung automatisierter Fahrfunktionen.

Damit höher automatisierte und autonome Fahrfunktionen im realen Straßenverkehr getestet werden und anschließend in den Serieneinsatz kommen können, ist eine weitergehende internationale Harmonisierung des Rechtsrahmens erforderlich. Es besteht Handlungsbedarf insbesondere bei internationalen Abkommen zum Straßenverkehrsrecht, die für die nationalen Gesetze den bindenden Rahmen vorgeben und derzeit noch zwingend einen Fahrer voraussetzen. Weitere Anpassungen sind wichtig im Hinblick auf die Fahrzeugzertifizierung und den Datenspeicher.

CASE – auf dem Weg zum autonomen Fahren

Autonomes Fahren gehört zu den vier strategischen Zukunftsfeldern, die unter dem Begriff CASE integraler Bestandteil der Unternehmensstrategie der Daimler AG sind. CASE – diese Buchstaben prägen die Zukunft der Mobilität. Sie stehen für Vernetzung (Connected), autonomes Fahren (Autonomous), flexible Nutzung (Shared & Services) und elektrische Antriebe (Electric). Ziel ist es, durch eine intelligente Verzahnung aller vier CASE Felder intuitive Mobilität für die Kunden zu gestalten.
Quelle: Daimler AG

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