Durch kooperative intelligente Verkehrssysteme:

Weniger Kollisionen mit Radfahrenden

von Siawasch Aeenechi
Foto: © Salzburg Research GmbH

Vernetzung und Automatisierung von Fahrzeugen bieten eine große Chance, auch die Sicherheit von Radfahrenden zu erhöhen. In Salzburg wurden erstmals drahtlose Kommunikationskanäle zwischen unterschiedlichen Fahrzeugen, Fahrrädern und der Infrastruktur unter realen Bedingungen validiert. Forschende aus Österreich und Deutschland haben eine Methode für die kooperative Erkennung von Kollisionsrisiken erprobt und Warnkonzepte für Radfahrende entwickelt.

Verkehrsunfälle mit Fahrrädern nehmen seit Jahren stetig zu. 2015 verzeichnete die Verkehrsunfallstatistik der Statistik Austria 6.901 Verkehrsunfälle mit Fahrrädern, 2021 waren es bereits 9.578. Die Anzahl der getöteten Radfahrenden pendelte in diesem Zeitraum von 32 bis 50 Personen pro Jahr. Die Unfälle mit anderen beteiligten Fahrzeugen ereigneten sich dabei meist bei einer Abbiegesituation in einem Kreuzungsbereich, wobei das Fahrrad im überwiegenden Fall geradeaus fuhr.

„Zusätzlich gibt es eine große Anzahl an Beinahe-Unfällen, die in keiner Unfallstatistik aufscheinen. Daher wollten wir mit unserer Forschungsarbeit diese Risiken besser einschätzbar machen, sodass Maßnahmen ergriffen werden können, noch bevor etwas passiert“, sagt die Projektleiterin Cornelia Zankl von Salzburg Research.

Technologie hilft bei der Reduktion von Kollisionsrisiken

Neueste technologische Entwicklungen im Bereich der Fahrzeugkommunikation mittels ITS-G5, der Fahrradlokalisierung, der Umfeldwahrnehmung des vernetzen und automatisierten Fahrzeugs mittels Kamera und LiDAR-Sensorik sowie bei straßenseitiger Sensorik mit Kameras schafften die Grundlagen für kooperative Lösungsansätze zur Detektion und Vermeidung von Kollisionsrisiken. Verletzliche Verkehrsteilnehmende wie Fahrradfahrende sollen dabei nicht nur erkannt, sondern aktiv in die Kollisionsvermeidung mit einbezogen werden.

Das bringt einen Mehrwert auf mehreren Ebenen: Radfahrende werden frühzeitig vor Kollisionen gewarnt, um gefährliche Situationen zu erkennen und Unfälle zu vermeiden. Vernetzte Fahrzeuge und Fahrassistenzsysteme können Radfahrende durch eine verbesserte Detektionsqualität sowie aktive Kommunikation zuverlässiger erkennen und können frühzeitig reagieren. Kommunen und Infrastrukturbetreiber erhalten objektive Bewertungen von Risikozonen an Verkehrsknotenpunkten und können diese durch gezielte Maßnahmen vorbeugend entschärfen.

Realerprobung in der Stadt und am Land

Im Forschungsprojekt wurden unterschiedliche Lösungsansätze analysiert, um geeignete und sichere Methoden auswählen zu können. Die vielversprechendsten Methoden wurden in einem kontrollierten Experiment getestet und jeweils in drei Szenarien an zwei Testkreuzungen im ländlichen und urbanen Bereich erprobt.

Bei den Experimenten an den mit smarter Sensorik ausgestatteten Testkreuzungen Weiserstraße/Gabelsbergerstraße in der Stadt Salzburg und an der B158 in der Salzburger Gemeinde Koppl kamen ein vernetztes, automatisiertes Fahrzeug sowie ein neuartiges vernetztes Forschungsfahrrad zum Einsatz. Getestet wurde eine durchgängige Kette von unterschiedlichen Datenverarbeitungsmethoden von der Eigenlokalisierung und Detektion von Verkehrsteilnehmenden, über die Erkennung von Kollisionsrisiken und die Generierung und Aussendung von Warnmeldungen bis hin zur Kommunikation an Radfahrende sowie andere Verkehrsteilnehmende.

Zentrale Forschungsergebnisse

Das Forschungsvorhaben Bike2CAV hat eindrucksvoll die hohe Komplexität bei der technischen Umsetzung von kooperativen Systemen gezeigt, da sehr viele Systemkomponenten aufeinander abgestimmt zusammenspielen müssen. In den definierten Schwerpunktbereichen des Projekts konnten folgende zentrale Ergebnisse gewonnen werden:

Risikozonen für Radfahrende an Verkehrsknoten

Den Forschenden gelang eine semiautomatisierte Ableitung von Interaktionszonen in Kreuzungsbereichen basierend auf statistischen Unfallwahrscheinlichkeiten. „Eine wichtige Erkenntnis war, dass Radfahrende die Infrastruktur an der untersuchten, urbanen Kreuzung oft anders als vorgesehen verwenden. Das liegt vermutlich daran, dass die Planung primär den Bedürfnissen des KFZ-Verkehrs folgt“, so Martin Loidl von der Universität Salzburg.

Smarte Fahrräder und Eigenlokalisierung aus Sicht des Fahrrads

Eine hochgenaue Eigenlokalisierung von Radfahrenden ist zentral für eine zuverlässige Detektion von Kollisionsrisiken. Neben zwei im Holoscene Bike verbauten GNSS-Empfängern wurden auch die Genauigkeit eines Smartphones und die eines am Helm montierten hochgenauen Sensors untersucht. Das Ziel war eine weniger als 50 cm große Abweichung bei 99,9-prozentiger Zuverlässigkeit. „Speziell im städtischen Umfeld war die angestrebte Lokalisierungsgenauigkeit durch die dichte Bebauung und eine Bahn-Unterführung sehr herausfordernd. Erreicht wurden 0,5 Meter laterale Abweichung bei 95 Prozent Zuverlässigkeit in ruraler Umgebung sowie unter zwei Meter laterale Abweichung bei 95 Prozent Zuverlässigkeit in urbaner Umgebung “, berichtet Zankl.

V2X-Kommunikation für Fahrräder

Als zielführend hat sich der Ansatz herausgestellt, auch Fahrräder mit V2X-Technologie auszustatten, um automatisierten Fahrzeuge neben der passiven Erkennung über Umfeldsensorik auch eine aktive Erkennung über ITS-G5 zu ermöglichen. „Solche Fahrräder sind bisher nicht am Markt erhältlich, ein Proof-of-Concept-Prototyp konnte jedoch im Projekt getestet werden“, sagt Louis P. Huard, Geschäftsführer von Boréal Bikes.

Erkennung von Radfahrenden durch die Infrastruktur und V2X-Kommunikation

Mittels umfangreicher Sensorik sollen Radfahrende durch die Infrastruktur visuell erkannt und verfolgt werden. “Unser eingesetztes kamerabasiertes KI-Detektionssystems zur Erkennung und Klassifikation von Kraftfahrzeugen und Fußgänger:innen wurde auf die Erkennung von Radfahrenden erweitert und optimiert. Zudem wurde für die V2X-Kommunikation der Entwurf des Nachrichtenformats collective perception message für die Übertragung der Informationen von detektierten Verkehrsteilnehmenden erfolgreich getestet“, sagt Alexander Paier von Kapsch TrafficCom.

Erkennung von Radfahrenden durch Fahrzeuge:
Basierend auf Machine-Learning-Methoden wurde eine Intentionserkennung von Radfahrenden umgesetzt und dadurch eine bessere Pfadvorhersage und Bestimmung von Kollisionsrisiken ermöglicht. „Besonders die visuelle Bestimmung der Körperhaltung und Handzeichenerkennung sind wichtig für eine zuverlässige Bewegungsvorhersage“, so Martin Fletzer vom AIT – Austrian Institute of Technology.

Warnkonzepte für Radfahrende

Die Anforderungen an nicht-ablenkende Warnungen vor Kollisionsrisiken zwischen einem Fahrzeug und Radfahrenden wurden in einem Co-Creation-Prozess mit Lead-Usern identifiziert. Unterschiedliche Warnungsmodi – akustisch, visuell und taktile Warnsignale – wurden mittels einer Navigations-App am Smartphone, Vibration an der Lenkstange und akustischen Signalen im Helm konzipiert und getestet. „Die Radfahrenden empfanden vor allem auditive Warnungen als hilfreich, besonders in Situationen, in denen sich ein Fahrzeug von hinten nähert“, sagt Cornelia Zankl von Salzburg Research.

Realerprobung

In allen sechs getesteten Szenarien konnten riskante Situationen mit Kollisionsrisiko nachgestellt und Kollisionswarnungen erzeugt werden.

„Zusammenfassend können wir bestätigen, dass Kollisionsrisiken mit dem gewählten Ansatz kooperativ erkannt werden können. Die Anbindung unterschiedlicher Datenquellen und die Verarbeitung der großen Datenmengen gestaltete sich jedoch noch sehr aufwendig. Die durchgeführten Tests waren auf prototypischer Ebene erfolgreich, für einen realen Einsatz sind jedoch noch Weiterentwicklungen bzw. Optimierungen erforderlich.“, fasst Projektleiterin Cornelia Zankl von Salzburg Research zusammen.

Das Kuratorium für Verkehrssicherheit (KFV) hat abschließend untersucht, ob die kooperativ erkannten Situationen für die Radfahrenden tatsächlich riskant waren und ob diese effektiv vor einem Risiko gewarnt wurden. „Beim Feldversuch ist es gelungen, eine gute Auswahl an typischen Hochrisikosituationen für Radfahrende zu generieren. In 27 der insgesamt 30 Fahrten konnte eine Warnung vor einer für Radfahrende tatsächlich gefährlichen Situation an die beteiligten Verkehrsteilnehmenden ausgesendet werden“, attestiert Hatun Atasayar, Sicherheitsexpertin beim KFV.

Weitere Informationen: www.salzburgresearch.at

Quelle: Salzburg Research GmbH

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