Doppelinterview mit Dr. Tassilo Schuster und Karlheinz Ronge

Wasserstoff als Energieträger der Zukunft

von Siawasch Aeenechi
Foto: © Pixabay

Die Stadt Nürnberg hat unter Mitarbeit des Fraunhofer IIS ein Studie über die Perspektiven der Wasserstoffwirtschaft  veröffentlicht. Zu diesem Anlass gibt es im Folgenden ein Interview mit Priv.-Doz Dr. habil. Tassilo Schuster, Senior Scientist Innovation und Transformation und Karlheinz Ronge, Abteilungsleiter Verteilte Systeme und Sicherheit. Es geht vor allem um die Zukunft von Wasserstoff als Energieträger.

Grüner Wasserstoff wird derzeit viel diskutiert. Politik, Wirtschaft und Forschung setzen große Hoffnungen in diesen Energieträger auf dem Weg zu einer emissionsfreien Welt. Welche Rolle spielt der Energieträger zukünftig für unser Energiesystem?

Dr. Tassilo Schuster: Der sechste IPCC-Bewertungsbericht des Weltklimarats von 2022 macht deutlich, dass viel zu tun ist. Das Ziel, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen, kann nur eingehalten werden, wenn die globalen Emissionen bis zum Jahr 2030 um 45 % reduziert und die Treibhausgasemissionen bis 2050 auf »Netto Null« gesenkt werden. Dies bedarf ein massives Umdenken unseres gegenwärtigen Wirtschafts- und Energiesystems, um irreversible Schäden am ökologischen Gleichgewicht unseres Planeten abwenden zu können. Das gelingt nur durch einen doppelten Paradigmenwechsel: Erstens, durch eine Abkehr von unserer bisherigen Linearwirtschaft, hin zu einem zirkulären Wirtschaftssystem und zweitens durch den weitgehenden Ersatz fossiler Energieträger durch regenerative Alternativen in unserem Energiesystem.

Karlheinz Ronge: Neben regenerativ erzeugter elektrischer Energie wird grüner Wasserstoff, der ja meist aus eben dieser erzeugt wird, der wichtigste Baustein unserer Energieversorgung sein. Grüner Wasserstoff soll nicht nur direkt als Energieträger, sondern als Bestandteil für synthetische Kraftstoffe oder Gase oder als Komponente in verfahrenstechnischen Prozessen wie Stahlerzeugung oder Düngemittelherstellung genutzt werden.

Wie sind die Perspektiven für die Wasserstoffnutzung als Energieträger?

Dr. Tassilo Schuster: Wasserstoff ist vielseitig einsetzbar. Dabei lassen sich vier Anwendungsbereiche unterscheiden: die Stromerzeugung, der Wärmemarkt, die Industrie und der Mobilitätssektor. Die nationale Wasserstoffstrategie der Bundesregierung von 2020 weist darauf hin, dass aus ökonomischen Gründen der Markthochlauf von Wasserstoff gezielt und schrittweise erfolgen muss. Prioritär werden hier Bereiche angesehen, in denen der Einsatz von Wasserstoff nahe an der Wirtschaftlichkeit ist, und in denen keine größeren Pfadabhängigkeiten geschaffen werden oder in denen keine alternativen Dekarbonisierungsoptionen bestehen.

Karlheinz Ronge: Neben dem Ersatz für andere Energieträger soll Wasserstoff auch als Speichermedium eingesetzt werden. Auch wenn die Speicherung von großen Mengen Wasserstoff herausfordernd und mit nicht zu vernachlässigenden Umwandlungsverlusten behaftet ist, wird intensiv an Lösungen für Wasserstoff als saisonaler Speicher für elektrische Energie geforscht, ebenso auch als Puffer in der Wärmeversorgung. Dabei gilt es, die entstehenden Verluste durch geeignete Kopplung mit anderen Prozessen zu minimieren.

Welche Kompetenzen und Technologien bringt das Fraunhofer IIS ein, um eine Wasserstoffwirtschaft mitzugestalten und ein nachhaltiges Energiesystem zu entwickeln?

Dr. Tassilo Schuster: Wir am Fraunhofer IIS verfügen über spezifische Kompetenzen, die wir gezielt in unterschiedlichen Anwendungsbereichen der Wasserstoffwirtschaft einbringen. Diese Kompetenzen umfassen zum einen kognitive Sensorsysteme, die die Überwachung und den Betrieb von Erzeugungsanlagen, Transportsystemen und Wasserstoffanwendungen unterstützen. Die gewonnenen Daten können lokal oder in der Cloud mit KI-Methoden zur Betriebs- und Prozessoptimierung genutzt werden. Zum anderen entwickeln wir an unserem Entwicklungszentrum Röntgentechnik zerstörungsfreie Prüfmethoden für die Wasserstoffwirtschaft: Hiermit können zukünftig Komponenten von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren nach verschiedenen Fertigungsschritten geprüft werden. Zudem haben wir Erfahrungen in der Optimierung von Netzen und Leitungssteuerung, u.a. auf dem Gebiet der Gasversorgung: Dieses Know-how kann auf die Versorgungsinfrastruktur für Wasserstoff und auf Sektorkopplung übertragen werden und so zu einer effizienten Versorgungsplanung und -steuerung beitragen. Schließlich besitzen wir umfassende Kompetenzen in der Entwicklung datenbasierter Geschäftsmodelle für neue Märkte: Darauf sind unsere Expertinnen und Experten der Arbeitsgruppe für Supply Chain Services spezialisiert. Gerade die Digitalisierung der Wasserstoffwertschöpfungskette können wir mit unserer Expertise nachhaltig mitgestalten.

Was werden die zentralen Herausforderungen für Sie als Forscher sein? Wie können Kognitive Sensorik und KI als Schwerpunktthemen des Fraunhofer IIS dabei helfen?

Dr. Tassilo Schuster: Wie bereits angeführt, spielen in vielen Anwendungsgebieten ökonomische Hürden noch eine zentrale Rolle, weswegen Betriebs- und Prozessoptimierung ein wichtiger Baustein für eine effiziente Ausgestaltung und Betrieb der Systeme ist. Vielfach ist noch keine geeignete Datenbasis vorhanden, um Optimierungen durch KI-Methoden durchzuführen. Auch mit der Datengewinnung und -aufbereitung müssen wir uns weiterhin intensiv befassen.

Karlheinz Ronge: Hier kommen unsere kognitiven Sensorsysteme ins Spiel. Sie bestehen aus intelligenten Sensoren, Kommunikationsverbindungen und einer Datenverarbeitung mit fortschrittlichen Methoden und Algorithmen wie Machine Learning. Mit den gewonnenen Daten können einzelne Komponenten wie Brennstoffzellen oder Elektrolyseure, aber auch Anlagen, Pipelines und Netze sektorenübergreifend gesteuert und überwacht werden. Erst der Einsatz kognitiver Sensoren ermöglicht die Digitalisierung von Wasserstofferzeugung, Verteilung und Nutzung. Für den Betrieb und die Regelung von Infrastruktureinrichtungen können wir zudem mit speziellen Optimierungsverfahren beitragen. Anders als bei konventioneller Modellierung und Simulation ermöglicht es die mathematische Optimierung, unter gegebenen Randbedingungen/Annahmen nachweisbar die beste Lösung zu finden. Dies ist wichtig zum Beispiel für Entscheidungsunterstützungssysteme.

Wie arbeitet das Fraunhofer IIS mit den anderen Partnern zusammen?

Dr. Tassilo Schuster: Generell gibt es drei Möglichkeiten, wie wir mit unseren Partnern aus Wissenschaft, Wirtschaft und öffentlichem Sektor zusammenarbeiten: Erstens sind wir Fraunhofer-weit vernetzt und arbeiten projektspezifisch mit unterschiedlichen Instituten zusammen. So wurde in dem abgeschlossenen Projekt »EnDaSpace Platon« eine digitale Plattform für Betriebsdaten einer Windenergieanlage und eines Wasserstoff-Elektrolyseurs entwickelt und sich mit plattformbasierten Geschäftsmodellen auseinandergesetzt. Auch mit anderen Forschungseinrichtungen zum Beispiel aus dem Energie Campus Nürnberg stehen wir in engem Austausch und bearbeiten gemeinsam wissenschaftliche Fragestellungen. Zweitens, eine Zusammenarbeit in Verbundforschungsprojekten. Hier arbeiten wir mit Industriepartnern und weiteren Forschungspartnern an unterschiedlichen Fragestellungen aus den einzelnen Teilen der Wertschöpfungsketten rund um Wasserstoff. Damit sind wir schon etwas anwendungsnäher. Drittens, eine Zusammenarbeit durch eine öffentliche oder industrielle Direktbeauftragung. So zum Bespiel mit lokalen Forschungspartnern in einer Studie für die Metropolregion Nürnberg »Wasserstoff in der Metropolregion Nürnberg – Analyse der Kompetenzen, Chancen und Herausforderungen«.

Blicken wir kurz in die Zukunft: Ab wann, denken Sie, wird es Geschäftsmodelle mit Wasserstoff geben? 

Karlheinz Ronge: Für die Entwicklung von Geschäftsmodellen gibt es einige Rahmenbedingungen, die sich auf absehbare Zeit nicht ändern werden. Grüner Wasserstoff wird in den nächsten Jahrzehnten ein knappes Gut sein. Es ist nicht absehbar, dass sich Europa selbst versorgen kann. Und beim Übergang von Energie in Form von Wasserstoff in elektrische Energie entstehen teilweise hohe Verluste. Somit steht in vielen Anwendungsfällen die Nutzung von Wasserstoff im Wettbewerb zur direkten Nutzung elektrischer Energie. Je nach Preisentwicklung und technologischen Fortschritten wird der Anteil von Wasserstoff am gesamten Energiemix größer oder kleiner sein.

Dr. Tassilo Schuster: Es gibt bereits heute Unternehmen, die rentable Geschäftsmodelle in der Wasserstoffwirtschaft aufgebaut haben und viele weitere, die gerade dabei sind, diese zu planen und vorzudenken. Einige mit konventionellen Geschäftsmodellen, nahe an ihrem bisherigen Kerngeschäft. Andere, die zur Zeit innovative Geschäftsmodelle mit Pionier-Charakter entwickeln. Mit einigen dieser Unternehmen haben wir bereits vertrauliche Studien und Projekte durchgeführt. Auffallend bei unseren Forschungsarbeiten zu Geschäftsmodellen und Projekten mit Industriepartnern ist, dass nicht mehr der alleinige Produktverkauf im Fokus steht, sondern Unternehmen sehr viel stärker in Ökosystemen denken müssen und das zugehörige Wertschöpfungsnetzwerk stark an Bedeutung für Geschäftsmodellinnovationen gewinnt.

Das Fraunhofer IIS hat an einer Studie zu Perspektiven der Wasserstoffwirtschaft in der Europäischen Metropolregion Nürnberg mitgearbeitet. Welche Rolle werden Wasserstoff und Wasserstofftechnologien für die Metropolregion Nürnberg spielen?

Dr. Tassilo Schuster: Unser Benchmarking-Studie mit anderen Metropolregionen in Deutschland zeigt, dass die Metropolregion Nürnberg beim Aufbau einer regionalen Wasserstoffwirtschaft keinen nennenswerten Standortvorteil in der energetischen Wertschöpfungskette besitzt. Einerseits ist das Erzeugungspotenzial von klimaneutralem Wasserstoff durch erneuerbare Energie im Vergleich zu anderen Metropolregionen begrenzt. Andererseits verfügt die Metropolregion Nürnberg kaum über industrielle Großverbraucher. Trotzdem wird Wasserstoff auch in der Metropolregion Nürnberg eine wichtige Rolle einnehmen. Dies gilt insbesondere bzgl. der Entwicklung, Herstellung, Vertrieb und Export von spezifischen Wasserstoffschlüsseltechnologien. In dieser produktbezogenen Wasserstoffwertschöpfungskette zeichnen sich drei regionale Kompetenzcluster ab:

1.     Gesamtsysteme und Bauteile von Elektrolyse-Anlagen
2.     Gesamtsysteme für die Wasserstoff-Speicherung, insb. LOHC-Technologie
3.     Gesamt-, Teilsysteme und Bauteile für stationäre und mobile Brennstoffzellen

Hinsichtlich des Erzeugungs- und Einsatzpotenzial von Wasserstoff hingegen zeigen unsere Analysen, dass ein Elektrolysepotenzial in der Europäischen Metropolregion Nürnberg besteht, die Region aber mit großer Wahrscheinlichkeit keine Export- oder Großverbraucherregion wird. Diesbezüglich zeigen unsere Szenario-Analysen, dass ein Anteil von ca. 75 Prozent auf die produktbezogene Wasserstoffwertschöpfungsketten fällt und nur 25 Prozent auf die energetische Wasserstoffwertschöpfungskette.

Weitere Informationen finden Sie hier.

Quelle: Fraunhofer Institut

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