Verkehrsexpert:innen diskutieren:

So (un)realistisch ist ein autofreies Wien

von Siawasch Aeenechi
Foto: © QWIC/APA-Fotoservice/Godany

Anlässlich des anstehenden internationalen Autofreien Tages am 22. September veranstaltete der E-Bike Hersteller QWIC eine kontroverse Podiumsdiskussion zum Thema „Autofreies Wien – Utopie oder Zukunft“. QWIC Country Manager und Mobilitätsexperte Stefan Wisiak diskutiert mit Spezialist:innen aus den Bereichen Verkehr und Stadtplanung – darunter Planungsdirektor der Stadt Wien Dipl.-Ing. Thomas Madreiter, ÖAMTC-Verkehrsexperte Dipl.-Ing. Matthias Nagler und #LobauBleibt-Sprecherin Anna Kontriner. Dass eine autofreie Innenstadt funktionieren kann, beweist die extra aus Slowenien angereiste Vita Kontič Bezjak am Beispiel Ljubljana.

Inflation, Rekord-Spritpreise, flächendeckendes Parkpickerl: Ist in Zeiten wie diesen das Auto überhaupt noch ein zeitgemäßes Fortbewegungsmittel? Ist Wien ganz ohne Autos vorstellbar? Zwar verzichten in Wien bereits fast die Hälfte der Haushalte auf ein Auto, trotzdem sind noch immer täglich 120.000 Pendler:innen mit dem Auto unterwegs. Was es laut Gastgeber und QWIC Country Manager Stefan Wisiak braucht, um Autofahrer:innen davon zu überzeugen auf ein anderes Transportmittel umzusteigen, sind die richtigen Alternativen: „Wir beobachten bei unseren Kund:innen verstärkt den Wunsch in Richtung langfristiges Umsteigen. Gerade jetzt inmitten einer Krise, wo alles immer teurer wird, werden die Menschen immer offener für Alternativen wie das E-Bike.

Nagler: „Wir brauchen ein ‚Lebensnetz‘, damit Leute Möglichkeiten haben, umzusteigen“

„Eine lebendige, lebenswerte Stadt wie Wien braucht einen Mix aus verschiedenen Verkehrsträgern – hier geht es vor allem um ein Miteinander. Dabei sollen nicht die verschiedenen Verkehrsmittel gegeneinander ausgespielt werden. Gerade für Pendler:innen ist es besonders wichtig, dass sie eine komfortable und zuverlässige Möglichkeit haben, nach Wien zu kommen. Ein wesentlicher Schlüssel ist, über die Stadtgrenzen hinauszudenken“, so ÖAMTC-Verkehrsexperte und Raumplaner Dipl.-Ing. Matthias Nagler und fordert: „Deshalb brauchen wir ein ,Lebensnetz‘ aus Straßen, Radwegen und Schienenverbindungen, damit die Leute mehr Möglichkeiten haben, umzusteigen.“

Kontriner: „In einer akuten Klimakrise braucht es eine besser ausgebaute Infrastruktur“

Für Aktivistin und #LobauBleibt-Sprecherin Anna Kontriner reicht das allein nicht aus: „Wir haben in Wien ein massives Infrastrukturproblem. Autos nehmen noch immer den Großteil des Platzes ein, das ist weder eine lebenswerte Mobilität noch ein gemeinsames Miteinander“, widerspricht Kontriner und meint weiter: „Ich habe das große Glück, in einem Gebiet zu wohnen, wo kein Auto notwendig ist. In Zeiten einer akuten Klimakrise braucht es hier einfach eine besser ausgebaute Infrastruktur.“

Mit Autoverbot zum Mobilitätserfolg: Ljubljana ist autofrei seit 2007

Die slowenische Hauptstadt Ljubljana macht es bereits vor. So ist der Stadtkern seit 2007 autofrei: „Zuerst haben wir begonnen, in der Innenstadt die Fußgängerzone schrittweise zu erweitern und aufzuwerten. Heute erstreckt sie sich über 17 Hektar und ist ein Vorzeigebeispiel für Fußgängerzonen und Shared Spaces, die für Menschen statt für Autos bestimmt sind. Ohne einem Autoverbot wäre das nicht möglich gewesen. Ein weiteres Beispiel dafür ist auch unsere zentrale Transitstraße, Slovenska Cesta, quer durch die Innenstadt – sie war täglich voll mit 60.000 Autos und sogar verboten für Radfahrer:innen, da nicht genug Platz war. Also haben wir sie im ersten Schritt für Autos gesperrt, öffentliche Busse zugelassen und die schmalen Gehsteige erweitert. Jetzt ist die Straße als Shared Space angelegt – ein freundlicherer Raum für Fußgänger:innen, Radfahrer:innen, Nutzer:innen öffentlicher Verkehrsmittel und Menschen mit Behinderungen“, so die slowenische Mobilitätsexpertin Vita Kontič Bezjak.

Kontič Bezjak: „Es war Mut, was die slowenische Veränderung gebracht hat“

„Denn Mobilität ist nicht nur bloß städtische Verkehrsplanung, sondern auch eine Aufgabe verschiedener Wissenschaften wie Soziologie, Psychologie, Umweltschutz und viel mehr – es müssen alle möglichen Bereiche miteinander kombiniert werden, um die größtmögliche Lebensqualität zu erreichen“, so Kontič Bezjak. Die Voraussetzungen dafür: „Mutig und geduldig bleiben, Zeit haben und sich die Zeit nehmen, den politischen Willen aufbringen und vor allem auf die Unterstützung der Öffentlichkeit setzen. Und diese bekommt man, wenn man früh genug anfängt und von Anfang an eng mit den Bürger:innen, Stakeholdern und der Öffentlichkeit zusammenarbeitet. Denn letztendlich sind sie es, die entscheiden müssen, welches alternative Verkehrsmittel zum Auto sie nutzen wollen.“

Madreiter: „Wien arbeitet mit Hochdruck an verkehrsberuhigter Innenstadt“

Planungsdirektor der Stadt Wien Dipl.-Ing. Thomas Madreiter findet ebenfalls Gefallen an den Entwicklungen der slowenischen Hauptstadt in den letzten Jahren: „Was die Stadt Ljubljana in dieser Hinsicht gemacht hat, finde ich sehr beeindruckend und sollte auch als Vorbild dienen. Wir in Wien haben mit Sicherheit dieselbe Zielvorstellung, im Zentrum einer 2-Millionen-Einwohnerstadt ist das Ganze jedoch um einiges komplexer. Deshalb müssen wir uns von einem 100-Prozent-Ansatz lösen. Wir arbeiten gerade intensiv an der im Regierungsprogramm fixierten verkehrsberuhigten Innenstadt, es braucht dazu aber vorher eine Änderung der Straßenverkehrsordnung auf Bundesebene.“

Wisiak: „Ich wünsche mir eine autofreie Stadt Wien als Zukunft für meine Kinder“

Auf die abschließende Frage, ob ein Leben ohne Autos in einigen Jahren die Realität sein kann, waren die Diskutant:innen geteilter Meinung: „Ob eine autofreie Stadt nun Zukunft oder Utopie bedeutet, hängt vom politischen Willen ab und da bin ich mir momentan nicht allzu sicher. Denn wir Bürger:innen in Wien fühlen uns von der Politik nicht ernstgenommen, vor allem, was unsere Forderungen bezüglich der Klimakrise betrifft. Wenn hier mehr Druck kommt, kann es unsere Zukunft sein, ansonsten bleibt es eine Utopie“, resümiert #LobauBleibt-Sprecherin Anna Kontriner. Dipl.-Ing. Matthias Nagler vom ÖAMTC findet auf die abschließende Frage etwas positivere Worte: „Wir sind bereits in der Zukunft angelangt. Wir können dies am Beispiel Wiens beobachten, wo seit den 1970er Jahren verstärkt auf Fußgänger- und Begegnungszonen gesetzt wird.“

Stefan Wisiak, QWIC Country Manager und selbst Fahrrad-Pendler, meint abschließend: „Ich wünsche mir eine autofreie Stadt Wien als Zukunft. Ich sehe dies als erstrebenswertes Modell, speziell auch in Hinsicht auf meine Kinder und deren Zukunft. Wir haben den Beweis, dass es funktioniert. Mit unseren E-Bikes tragen wir zu einem nachhaltigen Stadtbild bei und wollen die tägliche Fahrt zur Arbeit so angenehm wie möglich gestalten. Unsere Vision bei QWIC war von Anfang an klar: Die Städte autofrei zu machen. Deshalb hoffe ich auf mehr Austausch, dass ein autofreies Wien von dieser emotionalen Utopie zur Wiener Realität wird.“

Quelle: QWIC

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