Lastenräder sind voll im Trend. Und das nicht zum ersten Mal. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts rollten sie durch europäische Großstädte, bevor das Automobil sie verdrängte. Hundert Jahre später scheint sich das Blatt wieder zu wenden. Lastenräder sind vor dem Hintergrund von überfüllten Innenstädten und wachsendem Klimabewusstsein wieder da.
Einer der Ersten, der das Potential der Lastenräder wiederentdeckte, war Lars Engstrøm. Vor über 30 Jahren baute der gelernte Schmied sein erstes Modell in Christiania. Kopenhagens autonomer Stadtteil wurde Namengeber für sein Unternehmen. Sein Rad entwickelte sich zu einem Verkaufsschlager, so dass Christiania mittlerweile weltweit als Label für die kultigen Lastenräder bekannt ist. Inzwischen verkauft das dänische Unternehmen 4.500 Fahrräder pro Jahr, beschäftigt 26 Vollzeitmitarbeiter und bietet über 11 verschiedene Modelle mit etlichen Konfigurationsmöglichkeiten. Jedes Modell gibt es auch mit elektrischer Unterstützung von Pendix aus Zwickau, denn es erfordert viel Kraft, so ein Lastenrad zu fahren. Wir haben die Gründer Annie Lerche und Lars Engstrøm zum Interview getroffen.
Christiania Bikes produziert nun schon seit 1984 Lasten-und Transporträder. Wie kamen Sie auf diese Idee?
Annie Lerche: Wir wohnten damals in einem besetzten Gebiet ohne Autos. Vielen Leuten schien diese Idee zu gefallen, innerhalb kurzer Zeit stieg die Einwohnerzahl von Christiania von 300 auf 800 Menschen an. Um Waren und Baustoffe von A nach B zu bringen, oder auch einfach die Kinder in den Kindergarten, mussten wir nach neuen Transportmöglichkeiten suchen.
Und dann haben Sie angefangen, Ihre alten Fahrräder umzubauen?
Lars Engstrøm: Nicht ganz. Das erste Fahrrad war ein Geburtstagsgeschenk für Annie. Ich hatte es damals selbst entworfen, gebaut und dann mit großer Verpackung und Schleife in den Garten gestellt. Die Überraschung war leider ein Flop. Sie hat sich kein Stück darüber gefreut: Ein Rennrad wäre ihr lieber gewesen. Annie: Das stimmt, ich wollte lieber ein Rennrad. Hätte ich jedoch gewusst, dass da die Existenzgrundlage für unsere Familie vor der Tür stand, hätte ich die ganze Sache vielleicht mit anderen Augen gesehen.
Wie ging es weiter?
Lars Engstrøm: Das Rad war natürlich ein Hingucker, wir wurden ständig darauf angesprochen. Schon nach der ersten Fahrt hatte ich einen Auftrag in der Tasche. Wir versuchten, uns mit jedem Rad zu verbessern. Irgendwann wurde dann ein richtiges Unternehmen daraus. 1990 zogen wir in eine Fabrik auf Bornholm um. Dort sind wir bis heute und feilen stetig an möglichen Optimierungen. Beispielsweise verstärken wir unsere Reifen mittlerweile mit Kevlar, unsere Transportkästen sind wasserdicht und die Rahmen generell robuster.
Wann sind Sie das letzte Mal mit einem Auto gefahren?
Annie Lerche: Das ist noch nicht lange her. Mittlerweile haben wir Autos, mit denen wir zum Beispiel in den Urlaub fahren oder Ausflüge auf Bornholm unternehmen. Unsere Fahrräder nutzen wir aber natürlich auch noch regelmäßig. So ganz hat uns der Spirit aus Christiania nie verlassen.
Wie sieht es mit dem Design der Räder aus? Gibt es da große Unterschiede zu den Anfangsjahren?
Lars Engstrøm: Nein, es sieht meinem ersten Prototyp noch verdammt ähnlich. Und obwohl unsere Räder wirklich kastig sind, bekommen wir viel Lob für den konsequenten Stil. Er ist, typisch für Kopenhagen und Umgebung, simpel, funktional und seit Jahren nur im Detail verändert – das mögen die Leute. Selbst Königin Margrethe hat schon mal ein Christiania-Rad ausprobiert und sichtlich Spaß daran gehabt.
Annie Lerche: Wir haben sogar den dänischen Design Award bekommen, der uns damals von Kronprinz Frederik überreicht wurde. Das zeitlose Aussehen unserer Räder hatte die Jury überzeugt. Es hat uns ziemlich stolz gemacht, in einer Reihe mit Lego oder Carlsberg genannt zu werden, die den Preis zuvor gewonnen hatten.
Dann auch nochmal herzlichen Glückwunsch von uns! Was war eigentlich das lustigste Ereignis, das Sie in den Jahren mit Christiania Bikes erlebt haben?
Lars Engstrøm: Der Sänger Lukas Graham hat für sein Musikvideo von »Drunk In The Morning« einen ganzen Haufen unserer Fahrräder verwendet, das war schon ein witziger Anblick.
Annie Lerche: Ansonsten erreichen uns immer mal wieder Geschichten, die Leute mit ihren Fahrrädern erlebt haben. Beispielsweise hat uns eine Dame von einem abendlichen Drama erzählt, bei dem ihr Sohn die ganze Zeit quengelte und nicht einschlafen wollte. Ihr Mann hatte irgendwann genug und drohte dem Kleinen, dass er die Nacht im Lastenrad verbringen müsse, wenn nicht bald Ruhe sei. Die Idee fand er wiederum aber gar nicht so schlecht. Er holte seine Decke und fragte, ob es sofort losgehen könne.
Sie gehen mit der Zeit und haben die Firma Pendix, bekannt für elektrische Nachrüstantriebe, zum Partner gemacht. Wie kam es zu diesem Schritt?
Annie Lerche: Wir wollten unseren Kunden die Möglichkeit bieten, etwas Unterstützung beim Transport zu erhalten. Ich persönlich fahre noch immer am liebsten ohne Elektroantrieb, um mich fit zu halten. Lars dagegen ist vollkommen begeistert von Pendix. Gerade bei schwerem Gepäck kann ich das total nachvollziehen. Es gibt viele Anbieter von Fahrrad-Antrieben.
Warum haben Sie sich gerade für Pendix entschieden?
Lars Engstrøm: Für uns war vor allem die Qualität entscheidend. Ein Made-in-Germany-Qualitätsprodukt ist sehr viel wert und Pendix hat unsere hohen Ansprüche an Qualität und Zuverlässigkeit sowie eine klare Optik erfüllt.
Annie Lerche: Naja, es sind auf jeden Fall Leute hinzugekommen, die vorher abgewunken haben, weil ihnen so ein Lastenrad viel zu schwer war. Im privaten Bereich sind es viele Familien, vermehrt Mütter. Unsere Industriekunden kommen vor allem aus der Gastronomie, und sogar die dänische Post nutzt unsere Räder.
Wie sehen Ihre Pläne und Hoffnungen für die Zukunft aus?
Annie Lerche: Wir haben die Firma schon ein gutes Stück weit gebracht. Immerhin fahren die Leute in 30 Ländern unsere dänischen Räder. Super Qualität und ein wenig Flexibilität sind ein gutes Erfolgsrezept. Das kann gern so weiter gehen.
Lars Engstrøm: Natürlich hoffen wir, dass Christiania irgendwann sein hundertjähriges Jubiläum feiern wird. Wenn der Siegeszug der Lastenräder so weitergeht, dann sehe ich da kein Problem.
Vielen Dank für das Gespräch!